Ein genauer Blick auf die Meretseger-Schreine am Qurn in Theben WestDaniel Jackson hatte sie gefunden, endlich! Aber jetzt war Vorsicht angesagt, es handelte sich schließlich um eine archäologische Stätte. Schon kleine Veränderungen konnten das Gesamtbild für die Wissenschaft unwiederbringlich zerstören. Ein falscher Schritt und eine Steinlawine konnte einen Schrein in Sekunden zerlegen. Es galt also nicht nur die übliche Regel "nichts anfassen, nichts verändern und nirgendwo draufklettern", sondern ganz besondere Vorsicht an dieser sensiblen archäologischen Stätte. Erst recht durfte niemand der zahlreichen Postkartenverkäufer den Besucher entdecken, sonst würde er schnurstracks über Stock und Schrein angelaufen kommen, um seinen Schnitt zu machen. Und diese bequemen Steinbänke waren ja auch nicht zu verschmähen, warum darauf nicht mal ein Päuschen einlegen? Daniel Jackson sah sich um, niemand war ihn gefolgt oder hatte ihn entdeckt. Die Luft war also rein. Vorsichtig nahm Daniel Jackson den Schrein in Augenschein, der dem Weg am nächsten lag. Er war wirklich klein, innen kaum größer als ein Schuhkarton. Zwei Wände, eine Rückwand, ein gepflasterter Boden und ein großer Deckenstein machten das Bauwerk komplett. Kein Mörtel, kein Nilschlamm, nur kleine Steinkeile, die für eine stabile Lage der Platten sorgen. Die Innenwände des Schreins waren relativ glatt, aber wiesen doch die typische Steinoberfläche auf. Hier war ganz offensichtlich Korallengestein verwendet worden, die einzelnen Korallenstrukturen noch gut erkennbar. Derartiges Gestein war überall rund um das Qurn in den Bergen von Theben West zu finden, man dürfte es also einfach vor Ort genutzt haben. Unterschiede zwischen den Schreinen der Arbeiter von Deir el-MedinaVon den mehreren Dutzend Schreinen, die der Ägyptologe Kent Weeks ausgemacht hatte, konnte Daniel Jackson kaum mehr als ein halbes Dutzend ausmachen. Sollten die anderen in den letzten Jahren zerstört worden sein? Denkbar war es, aber Daniel Jackson hoffte, dass Meretseger noch viele Jahre Freude an ihren Schreinen haben konnte. Schnell fiel auf, dass jeder Schrein anders war. Individuell wie sein Erbauer. Dieser hatte beinahe ein pyramidenförmiges Dach. Meretseger konnte sich wirklich freuen. Sie war nicht nur die Gottheit der thebanischen Nekropole, die auf dem Qurn wohnte, sondern in der Ramessidenzeit auch die Personifikation des pyramidenförmigen Berges. Daniel Jackson hatte gehört, dass sie deshalb auch "Dehenet-Imenet", Gipfel des Westens, genannt. Dieser Schrein griff das womöglich gekonnt auf. Ein anderer Schrein direkt nebenan war wieder ganz anders. Er besaß ein doppeltes Dach, dafür jedoch keinen Boden. Aber was Daniel Jackson im Inneren sah, verwunderte ihn. Kleine Steine in besonderen Formen, wie sie in den Bergen der Westbank an mehreren Stellen oft vorkommen. Warum lagen diese dort? Hatten die Arbeiter sie dort hinein gelegt? Oder eher moderne Besucher, die sich einen Spaß daraus machten? Der Ägyptologe Kent Weeks geht davon aus, dass die Arbeiter in den Schreinen winzige Statuetten, Stelen und vielleicht auch Kerzen deponiert haben. Von solchen Steinen keine Rede. Daniel Jacksons Verdacht auf moderne Besucher verstärkte sich und er musste noch einmal an die grundlegenden Verhaltensregeln in solchen Stätten denken: "nichts anfassen, nichts verändern und nirgendwo draufklettern". Dass die Steinfrage nun überhaupt im Raum stand, war schon Grund genug, sich die Regel noch einmal zu verinnerlichen. Zum Abschluss wollte sich Daniel Jackson noch die letzten Schreine ansehen. Es gab noch einmal einen Schrein mit Pyramidendach und auch hier fanden sich erneut diese geformten Steine im Inneren. Selbst bei einem heutigen Besuch konnte man sich noch gut vorstellen, wie die Arbeiter aus Deir el-Medina einst von den Schreinen knieten und mit dem Gesicht zum Qurn gewandt zu Meretseger beteten. Abschied von den Schreinen der ArbeiterDaniel Jackson hatte genug gesehen und verließ mit äußerster Vorsicht wieder den Hang. Zurück auf dem Weg musste er zunächst in Deckung gehen, um nicht entdeckt zu werden. Ein Postkartenverkäufer wartete auf Kundschaft. Bald drang aufgeregtes Rufen an Daniel Jacksons Ohren, denn er hatte sich langsam zurück zum Feldlager der Arbeiter auf den Weg gemacht. Natürlich war er auf dem letzten Wegstück entdeckt worden. Jetzt war die Aufregung groß, denn dieser Typ wollte einfach nichts kaufen. Die, die Stille liebt löste das Problem auf ihre Weise: Binnen Minuten zog ein gewaltiger Sandsturm herauf und alle Bergwanderer mussten die Beine in die Hand nehmen, um schleunigst wieder nach unten zu kommen. Meretseger hatte für Ruhe gesorgt, ihr Antlitz verhüllt und konnte ihre Schreine wieder allein genießen.
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