TOM'S

Notes

HOME

NOTIZEN

REISEINFOS

BÜCHER

ÜBER UNS

KONTAKT

Oase Kharga, November 2011

Spritztour ins Leben

Touristen in Ägypten

„Fahren wir in einen Coffee Shop", schlägt Ahmed vor und ich kann das Angebot nicht ablehnen. Zu oft habe ich das in den letzten Tagen schon getan. Also willige ich ein. Vorher gibt es ein Sandwich, bis zum Platzen gefüllt mit gebratenem Rind. Der Albtraum eines Vegetariers. „Der Doktor hat es verboten", heißt es später zu der Frage, warum ich nicht esse. Alles andere wäre ein zu großer Affront. „Aber Du musst etwas essen“, insistiert der Gastgeber, also werde ich mit Süßigkeiten überhäuft. Mein Magen fühlt sich an, als würde er bald platzen.

Dann geht es los, mit dem Motorrad durch kleine Gassen. Ahmed fährt gut und vorsichtig, zum Glück. Schon sind wir an zwei Coffee Shops vorbei gefahren. „Erstmal eine Stadtführung“, erklärt mir der Fahrer. Ich kenne vieles schon, Ahmed ist begeistert. Jetzt lerne ich den Stadtverkehr aus Sicht eines Mitfahrers auf dem Motorrad bei Nacht kennen.

Wir stoppen an einem Coffee Shop. Tee trinke ich, „masbud“. „Masbud?" Der Kellner freut sich, die Ägypter feixen. Ich kenne das Wort für die Zuckermenge tatsächlich! Schon stößt ein Freund zu uns. Als er hört, dass ich Arabisch spreche, muss er es testen. Ich verstehe fast nichts, aber dafür kenne ich sein Heimatdorf. Punkt, Satz, Sieg. Ich bin eingeladen, es gibt kein Vertun.

Aufbruch, wieder auf das Motorrad. „Zurück zum Hotel?“ Weit gefehlt! Wir stoppen an einer Art Flohmarkt mit unzähligen Ständen, die Aktionspreise bieten. Alle Sachen sind fabrikneu. „Trägt man das in Deutschland in der Stadt?" Ahmed will es ganz genau wissen und hält mir das Objekt der Frage unter die Nase. "Das" sind so kleine, heiße Stofffetzen, dass die Herbertstraße in Hamburg bei ihrem Anblick vor Scham rot würde. Reizwäsche vom Feinsten, offen ausgestellt in Ägyptens Provinz. "Eher nicht", antworte ich. „Hier trägt es die Frau nur zu Haus", stellt Ahmed kulturelle Ähnlichkeiten fest. „Für... Du weißt schon."

Gleich nebenan feiert eine Hochzeitsgesellschaft. „Wir müssen dorthin, das musst Du sehen.“ Zunächst kaufen wir staubtrocken gerösteten Maiskolben, „durra“ genannt. Schon wieder soll ich essen, aber es führt kein Weg daran vorbei. Ich bin froh über Ablenkung: Auf der Hochzeit läuft gerade das Brautpaar ein. Der Koran wird rezitiert. Alle bekommen Getränke, auch ich. Wieder gibt es gibt kein Entkommen. „Ich bin doch nur Gast“, versuche ich es. „Eben drum!“, antwortet ein Cousin des Bräutigams. Schon hat dieser seine Gratulationsrunde begonnen. Küsschen rechts, Küsschen links, begrüßt er die Anwesenden. „Kommt er auch zu mir?“, frage ich Ahmed. Er tut es! Besonders erfreut sagt er "welcome" und ich sage „alf mabruk". Den Tipp hat man mir gerade noch rechtzeitig gegeben, „tausend Glückwünsche" heißt es. Große Freude bei meinem Gegenüber, ich muss unbedingt für den Hochzeitsfilm aufgenommen werden! Die halbe Familie klopft mir auf die Schulter, gut gemacht. Wieder wird der Koran rezitiert, dann Musik aufgelegt: "The devil is a DJ", dröhnt es aus den riesigen Boxen.

Wir fahren weiter. „Zurück zum Hotel, es ist schon spät“, bitte ich. „Ok, aber noch ein paar Minuten zur Familie.“ Darauf besteht Ahmed. Es dauert länger. Die überraschte Mutter reicht Cola und freut sich. Im Nebenzimmer sitzt die Schwester, gestern bekam sie ein süßes Baby. Jobs für Sozialarbeiterinnen in Deutschland interessieren sie und sie ist total begeistert, dass ihr Baby „gamil chales" ist, sehr schön. Ich solle doch etwas essen. Dankend lehne ich ab. Sage, dass ich dann platzen würde wie "bomba". Man lacht, denn das will dann auch niemand.

Zurück auf dem Motorrad. „Jetzt noch ein Bier?“ Allah, ich lehne entschieden und mehrfach ab. Morgen muss ich früh raus. „Ok“, das Argument zählt - irgendwie. Auf dem Rückweg zum Hotel stoppen wir „noch schnell" bei einem Spielzeuggeschäft. Ahmed sucht etwas für seinen Sohn. In den Regalen stapelt sich billiger Plastikmüll aus China, wir kaufen gleich zwei riesige Tüten voll. „Sorry, es hat etwas länger gedauert", meint mein Fahrer. Gut, dass ich dabei bin, wer sollte sonst auf dem Motorrad die beiden riesigen Müllsäcke voller Spielzeug halten? Das ist der Knackpunkt, wir müssen das Spielzeug erst seiner Bestimmung übergeben, bevor Ahmad mich ins Hotel fahren kann.

„Also gut, fünf Minuten“, versuche ich den unausweichlichen Programmpunkt zeitlich im Rahmen zu halten. In der Altstadt von Kharga halten wir an des Fahrers Haus. Es wird von Ameisen langsam aufgefressen. Ahmed Junior ist mitten in der tiefsten Nacht noch wach. Frau Muna hört „Deutschland" und sagt: „Ich liebe dich." Sie hat einen Deutschkurs gemacht. Die halbe Verwandtschaft trifft ein, den Arabisch sprechenden aus Deutschland sehen. Meist spreche ich dann doch Englisch - und Ahmed will übersetzen, damit die Frau versteht. Die lacht sich halb tot und meint entrüstet: „Ich habe mehr verstanden als Du!" Jetzt kriegt Junior einen Hüpfball, den wir vorhin gekauft haben. Aber wie funktioniert der? Ich darf es vorführen, sonst weiß es niemand. Begeisterung bei groß und klein! Essen, ich muss essen! Nur Erdnüsse, zum Glück! Das geht so: Junior gibt mir eine Nuss, ich muss sie Mama geben, die sie knackt und mir zurück gibt, damit ich das kleine Energiebündel damit füttern kann. Etwas essen muss ich dann am Ende doch. Und Tee trinken. Ich dränge zum Aufbruch.

„Du musst unbedingt wiederkommen“, darauf bestehen alle. Der Kleine weint und will nicht, dass Papa wieder losfährt. Also fährt er auf dem Motorrad mit, als ich zum Hotel gebracht werde. „Wenn das die Polizei wüsste", denkt mein deutsches Gehirn und ich lache über mich selbst. Der ägyptischen Polizei wäre es derzeit ganz egal, denn hier fahren selbst Zehnjährige allein an uns vorbei. „Arabeya“, Auto, übt Ahmed Junior während der Fahrt sprechen. „Schagara“, ergänze ich und zeige auf einen Baum. „Schajara“, lernt er schnell.

Ankunft am Hotel. Ich verabschiede mich, danke tausendmal und will los. Junior passt das gar nicht, er will mit. Papa auf dem Motorrad interessiert ihn gerade nicht, er mag den Mann mit dem Hüpfball.

Ich öffne die Hoteltür, endlich schlafen! „Was für ein toller Abend“, denke ich. Freudig erwartet mich der Rezeptionist. Der Abend ist noch nicht vorbei.

<                             >

Das Motorrad verbindet Menschen.

© 2015-2020 Toms-Notes.com  |  designed by Karma Klin Gabriel | All rights reserved.