Ankunft am Roten Meer. Es ist eine unwirkliche Atmosphäre. Am ersten Checkpoint der Wüstenstraße vom Nil kommend wird unser Minibus 20 Minuten geflitzt, Personen kontrolliert, Leute verhört. Im Rest des Landes sieht man fast keine Polizei, erst recht sieht man Polizisten nicht arbeiten. Und hier ist es wie in alten Zeiten. Surreal, wie in einer längst vergessenen Welt. Die Betroffenen sind verschreckt, unterwürfig, gefügig. Kaum geht die Fahrt weiter, schimpfen sie wie Rohrspatzen über die „blöde Polizei“. Wie immer, die Revolution scheint in den Köpfen noch etwas Zeit zu brauchen. Am nächsten Kreisel kontrolliert die Polizei Führerscheine. Es ist wirklich unglaublich, hier am Roten Meer arbeiten die uniformierten Sicherheitskräfte. Die ägyptische Wirklichkeit im Rest des Landes sieht anders aus.
Die Fahrt geht weiter, entlang endloser Baustellen. Dazwischen liegen vermeintliche Luxushotels. Aus dem Wüstensand gestampfte Touristenträume, kitschig, wie aus Plastik, unwirklich. „Fata morgana", schießt es mir durch den Kopf. Das kann doch alles gar nicht wahr sein. Mit Ägypten hat Hurghada nichts zu tun. Vielleicht stellt sich so ein Europäer das Land vor. Die Statisten der Kulisse sind westlich gekleidet, die Haarstile grundverschieden. Sind sie wirklich so, oder ist man hier passend zum Schauspiel kostümiert? In „Downtown“ Geschäfte und Restaurants, eins nach dem anderen, ohne Ende. „Gerdas Hesseneck" neben einem Nachtclub, wo Mädels solange freien Eintritt haben, bis die Erste aufs Klo muss. Basare, über und über mit kitschigen Souvenirs bestückt, die noch kitschiger sind als anderswo. Nasser, der Taxifahrer aus Qena, findet Demokratie gut, aber „das hier" nicht. „Das hier" sind lose Sitten, moralischer Verfall, Sex vor der Ehe. Aber hier verdient man Geld, hier fährt er Taxi. Nasser lebt woanders, zumindest im Geiste. Das neue Ägypten soll so nicht werden.
Ali aus dem Supermarkt kommt aus Hurghada, ist hier geboren und damit in der Minderheit. Gern verkauft er mir Chips zum Normalpreis, freut sich über mein Arabisch und lädt mit begeistert zum Tee ein. Normal ist die Einladung zum Tee nicht mehr im post-revolutionären Ägypten mit seiner gestiegenen Skepsis gegenüber Ausländern. Aber in der Plastikwelt ist eben alles etwas anders. Manchmal ist das gut so.
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