Als ich aufwache, die Sonne steht schon hoch am Himmel, haben schon alle gefrühstückt. Es ist der erste Tag des muslimischen Fastenmonats Ramadan und ich habe Glück, im Hotel trotzdem etwas zu Essen zu bekommen - man ist auf die Wünsche der europäischen Gäste eingestellt. Ramadan, das heißt für alle gläubigen Muslime keine Nahrung und keine Flüssigkeit von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Nach dem Frühstück breche ich auf und erlebe ein mir unbekanntes Ägypten: Am Westufer des Nils ist an der notorisch geschäftigen Nil-Fähre entspannte Ruhe eingekehrt. Normalerweise gibt es hier beim Anblick von Ausländern kein Halten mehr, allerlei Dienstleistungen werden geradezu aufgedrängt. Jetzt fragt zwar ab und zu jemand, ob ich ein Motorboot, Taxi, Kamel oder einen Esel mieten möchte. Aber im Verhältnis zu anderen Tagen ist es geradezu entspannt. Die öffentlichen Transportmittel, Pickups zum Mitfahren auf der Ladefläche, sind trotz des besonderen Tages wie gewohnt unterwegs. Am Ticketoffice für die pharaonischen Sehenswürdigkeiten hängt der Verkäufer etwas erschlafft auf seinem Stuhl. Er sitzt in seinem Büro, ist der kräftigen Sonne in diesen Mittagsstunden nicht ausgesetzt. Es ist ein Luxus, den die Ghafire und Polizisten in der pharaonischen Arbeitersiedlung Deir el-Medina nicht genießen. Sie haben sich in den Schatten zurückgezogen, aber die Hitze der Steine ist auch dort deutlich spürbar. Notgedrungen schauen die ermatteten Männer den Touristengruppen zu, die vor ihren Augen in Seelenruhe eiskaltes Wasser schlürfen. Ab und zu stiehlt sich einer der ägyptischen Bewacher hinter eine Mauer davon und spült den Mund mit Wasser aus – wer möchte es ihm verübeln, hier in diesem Glutkessel?
Als Einzelbesucher stehe auch ich vor besonderen Herausforderungen: Der kleine Tempel, den ich besuchen möchte, ist abgeschlossen. Nach langem Rufen quält sich jemand herüber und schließt auf. „Yalla yalla“, sagt der Ghafir in Touristen-verständlichem Arabisch. Er möchte wieder zurück in den Schatten zu seinen Kollegen. Ich aber habe ein Ticket für das Grab von Pashedu, welches er ebenfalls aufschließen muss. Dem armen Mann ist anzumerken, dass er diese Tatsache als Zumutung betrachtet. Er schnauft und schwitzt, als er am Grabeingang in der Sonne wartet – und schaut äußerst missgelaunt drein. Als ich nach kurzen fünf Minuten das Grab schon wieder verlasse, hält er demonstrativ die Hand auf: „Ramadan!" Ein extra Bakschisch für die besondere Anstrengung wird mit Nachdruck erwartet. Bei den anderen Sehenswürdigkeiten ist es nicht anders.
Zurück im Hotel: Ahmed, der Eigentümer, ist krank. Er fastet trotzdem. „Es ist der erste Tag“, sagt er. Zur Zeit des Fastenbrechens nach Sonnenuntergang ist dann das Essen groß aufgebaut, alle erdenklichen Speisen stehen bereit. Um 17:49 Uhr knallt deutlich hörbar die so genannte „Iftar“-Kanone in Luxor. Es ist das ersehnte Zeichen: Sonnenuntergang, man darf wieder essen. Die Kanone zündet auch virtuell im Fernsehen, aus ihrem Lauf schießt das Vodafone-Logo. Fastenbrechen, sponsored by Vodafone!
Jetzt gibt es bei Ahmed kein Halten mehr! Gierig verschlingt er tiefgekühlte Datteln, trinkt ein großes Glas eiskalten Saft hinterher. Wasser soll helfen, die Strapazen und Entbehrungen des Tages vergessen zu machen. „Das tut gut, wenn man den ganzen Tag nichts getrunken hat“, erklärt er noch. Der von der Grippe ohnehin gebeutelte Körper reagiert auf die erneute Belastung heftig, das Iftar ist zumindest bei Ahmed schnell vorbei. Draußen auf den Straßen wird weiter getafelt...
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