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Kairo, Mai 2015

Sednaoui

Ägyptens besondere Orte

„Was willst Du denn bei Sednaoui, da ist doch nichts?“, fragt der Straßenhändler verdutzt, als ich das alte Nobelkaufhaus in der Nähe des Midan Attaba ansteuere. Einst war es die beste Adresse am Platz, weithin bekannt und geschätzt. Ich betrete das Gebäude mit dem gewaltigen Atrium, überspannt von einem eleganten Glasdach. Auf mehreren, offenen Stockwerken wurden hier die besten Waren feilgeboten, von eleganten Roben bis hin zu allem, was ein Haushalt gebrauchen konnte. Der Besitzer selbst war stets zugegen und schmeichelte den Damen aus hohem Hause. Legendär sein Ruf als Charmeur, der seiner Kundschaft Komplimente machte und der es hin und wieder – wohl kalkuliert – durch großherzige Taten zum Stadtgespräch brachte. So wusste man einst noch in der hintersten Ecke von Kairo zu berichten, was sich kürzlich bei Sednaoui zugetragen hatte:

Es wurde eine Ladendiebin entdeckt, die Stoff für ein Hochzeitskleid stehlen wollte. Doch anstatt die Polizei zu verständigen, schenkte der Hausherr der armen Frau den Stoff und forderte Sie auf, sich zusätzlich noch ein anderes Kleid auszusuchen. „Eine schöne Hochzeit wünscht Sednaoui“, ließ er das arme Mädchen der Legende nach wissen – wohlweislich, welche Wirkung seine Tat erzielen würde. Denn natürlich tat er es öffentlichkeitswirksam vor der versammelten Kundschaft, die umgehend die Großherzigkeit pries und allenthalben von der guten Tat berichtete.

Anfang der 1960er Jahre fand die Erfolgsgeschichte ein jähes Ende, als die Sednaouis aus der Zeitung erfuhren, dass ihr Kaufhaus verstaatlicht worden war. Beim Blick über das heutige Warenangebot ist schnell klar: es ist nicht einmal mehr ein Schatten seiner selbst. Obwohl ich der einzige potenzielle Kunde bin, spricht mich niemand an. Die Angestellten liegen lustlos in ihren Stühlen oder trinken zusammen Tee. Niemand scheint damit zu rechnen, dass hier jemand etwas kaufen könnte. Die oberen Stockwerke des Gebäudes stehen leer, weiter unten liegen Teppiche zwischen Kleidung, die wie aus den 1960er Jahren erscheint. Von einem Bett – ebenfalls hier im Angebot – ist bereits ein Bein abgebrochen, Matratzen liegen scheinbar wahllos herum. Ob die zwei in Plastik verpackten Motorräder im Erdgeschoss noch funktionieren, wer möchte es herausfinden? Es ist ein trister Anblick.

Glanz und Gloria der alten Tage versprüht nur noch das prächtige Gebäude mit seinen eleganten Formen, den gewaltigen Kronleuchtern und der beeindruckenden Architektur des Atriums. Etwas Gutes hat die gähnende Leere und die alles durchdringende Stille dann doch: mit ein wenig Phantasie füllt sich das Ehrfurcht einflößende Gebäude mit Kunden und Waren, wird die frühere Pracht vor dem inneren Auge wieder lebendig. Beinahe könnte man meinen, der alte Sednaoui husche durch die Etagen, immer ein Kompliment auf den Lippen und immer für eine Geschichte gut...

Sednaoui-Kaufhaus, nahe Midan Attaba.

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